Über mich
WERDUNG
… in die Flucht geschlagen oder die Flucht ergriffen. Der Wunsch zu verweilen, der Hang zur Kontemplation, zu intensivem Betrachten entsteht.
Bekanntschaft mit dem Existentialismus in Lebensphasen ohne Geld, Essen, Freunde. Es bleibt [nicht] viel übrig: das Wesentliche: Entdeckung der Farben und des Lichts bei der Betrachtung von Gegenständen, Strukturen, Pflanzen, Steinen. – Transport von Gefühlen.
FINDUNG
Was steckt dahinter? Der Wunsch, zu verstehen, was ich sehe: das Leben. Dahinter zu kommen: oben, unten, links oder rechts vorbei? Wohin? – Verweilen, analysieren, Vorstellungskraft entwickeln, den Standpunkt verändern. – Indem ich mich bewege, nicht das Hindernis auszuräumen versuche, erweitere ich meine Erkenntnis.
Das Verrückte ist, dass durch meine Bewegung der Gegenstand verrückt und anderes frei gibt, frei macht oder ich mich in der Kontemplation in ihm erkenne.
WORUM ES GEHT
Immer wieder reizt mich die Reduktion, die Abstraktion auf das Wesentliche der «comédie humaine»: das Spiel der Farben als Spiegel der Gefühle.
Ich möchte bis an die Grenze der Vorstellungskraft gehen und beim Betrachter Sinne und Gefühle wachrufen.
AKTUELL
Mehr und mehr gehe ich dazu über, Bilder, die in meinem Kopf entstehen – spontan oder konzeptuell – zu „fotografieren“.
So erkunde ich die Wirklichkeit wie mit einem Detektor, mache Ungesehenes sichtbar, löse Widersprüche auf, realisiere Träume und Emotionen.
Lutz Hartmann o. Jg.
MOTTO
[…] Also versuchte er so zu antworten, als wollte er einem Marsmenschen erklären, wie Glücklich sein aussah.
»Na ja, ich könnte Ihnen sagen, dass ich mich gut fühle, dass ich fröhlich bin, vergnügt, optimistisch, positiv eingestellt, voll in Form. Wenn Sie ein Marsmensch wären, müsste man Ihnen alle diese Worte natürlich erst mal begreiflich machen und Ihnen erklären, dass das alles Emotionen sind. Und mit Emotionen ist es wie mit Farben, sie lassen sich schwer erklären«.
Lelord, François
in: Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück, Serie Piper 4828, München 2004, Seite 148.
PLÖTZLICH FINSTERNIS (Nachwort)
Lutz Hartmann ist ein faszinierender Fotograf, auf dessen geheimnisvolle Farb- und Formenspiele sich der Dichter Johannes Kühn einlässt. Er spielt mit und gewinnt Anregungen, die er aus seiner poetischen Erfahrung fort spinnt und zu klangvollen Aussagen entfaltet.
Johannes Kühns Sätze greifen das Zauberische der Fotos auf, er beschreibt nicht, erzählt eher Kürzestgeschichten. Er erzeugt Stimmung, die Atmosphäre einer spekulativen Erfahrenswelt. Er ruft Königspracht, ein Zwergenreich, die Tröstungen des Schlafs vor Augen. Ihm ist die Macht des Sonnenaufgangs so gewaltig, dass er warnt: „Im Morgengraun verharr. Bind fest dein Herz an diesen Anker. Eh die Sonne erstrahlt“.
Johannes Kühn verwandelt Bildeindrücke in Vorgänge lyrischen Empfindens. Seine Fantasie erzeugt Vorstellungen, die vom Foto angeregt, zu neuen sprachlich entwickelten Bildern einer anderen Erlebniswelt führen. So wäre es dem Betrachter zu raten, sich auf das dialektische Spiel zwischen der fotografischen Kunst- und der Sprachschöpfung einzulassen. Ein Vorschlag: Er könnte zunächst die stimmungshaltigen Bilder mit eigenen Augen betrachten und dann erst die poetischen Kommentare dazu lesen, um danach mit Lutz Hartmann, Johannes Kühn und der eigenen Wahrnehmung in ein angeregtes Selbstgespräch einzutreten.
Beseligung, Zuversicht, Wertschätzung erfährt Johannes Kühn beim Betrachten der Bilder. So sind alle seine Sprüche im hohen Ton gehalten. Sie bringen eine Weltfrömmigkeit zum Ausdruck, der die Rettung der Natur am Herzen liegt.
Irmgard und Benno Rech
in: plötzlich Finsternis, 32 S. geb., Krefeld 2007
BILDER AUS 3 ZYKLEN (Eröffnungsrede)
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
herzlich willkommen zur Ausstellung »Bilder aus 3 Zyklen« von Lutz Hartmann. Ich freue mich, dass so Viele der Einladung zur heutigen Ausstellungseröffnung gefolgt sind. Ich möchte sie nicht mit einer ermüdenden Rede langweilen. Die präsentierten Fotografien sprechen eigentlich für sich selbst, aber vielleicht doch ein paar kurze, einleitende Worte.
Lutz Hartmann wurde in Witten/Ruhr geboren, wo er 1966 sein Abitur machte. Von 1967 – 1972 studierte er Romanistik und Geografie in Tübingen, von 1969 – 1970 in Paris und von 1970 – 1972 in Düsseldorf. Von 1974 bis 2010 war Lutz Hartmann im Schuldienst tätig.
Während seines Aufenthaltes in Paris, der großen europäischen Kulturmetropole, kommt Lutz Hartmann in verstärkten Kontakt zur bildenden Kunst und besonders zur Fotografie. Die Stadt Paris übt schon immer wegen ihrer imponierenden Topografie und ihres besonderen Flairs einen großen Anreiz auf bildende Künstler aus, nicht nur auf Maler und Bildhauer, besonders auch auf Fotografen. Felix Nadar, Brassai, Cartier-Bresson, Robert Doisneau … Die Liste der berühmten Pariser Fotografen lässt sich schier endlos fortführen.
Auch Lutz Hartmann beginnt, sich intensiv autodidaktisch mit dem Medium Fotografie auseinanderzusetzen. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzungen sind seither in etlichen Ausstellungen zu sehen.
Kommen wir nun zur heutigen Präsentation. Wie der Titel der Ausstellung schon klar legt, zeigt Lutz Hartmann »Bilder aus 3 Zyklen«. Natürlich handelt es sich hierbei nur um eine kleine Auswahl aus sehr viel umfangreicheren Werkgruppen.
Der erste Zyklus – ein wie ich meine treffendes Wortspiel – zeigt Arbeiten, die zum Teil bis in die frühen 70er Jahre zurück führen. Eine andere Gruppe von Fotografien, der Zyklus <erzählte Zeit> umfasst den Zeitraum von 2004 bis 2008, und die hier gezeigten Arbeiten aus dem dritten Zyklus sind im vorigen Jahr entstanden.
Zum handwerklich-technischen Aspekt dieser Ausstellung ist zu sagen, dass es sich bei den hier ausgestellten frühen Arbeiten um klassisch-analoge, mit einer Kleinbildkamera, beziehungsweise einer 6 x 6 Mittelformatkamera aufgenommene Fotografien handelt, die später digitalisiert wurden. Eine nachträgliche Bearbeitung oder Ausschnittveränderung findet nicht statt. Die Fotografien werden direkt vor Ort in ihrer endgültigen bildnerischen Form komponiert. Das gilt auch für die neueren, bereits mit einer Digitalkamera aufgenommenen Fotos.
Nun ein paar persönliche Anmerkungen zu den hier gezeigten 3 Zyklen. Lutz Hartmann selbst spricht im Zyklus von „Stationen seiner Betrachtungen“, von „fotografischen Erinnerungen”. Fotografische Erinnerung, ein Begriff, den jeder Tourist, der im Urlaub fotografiert, auch benutzen könnte. Betrachtet man nun Hartmanns Fotografien, erkennt man jedoch recht schnell seine völlig andere Vorgehensweise.
Wesentlicher Bestandteil, wenn nicht sogar Ziel gängiger Urlaubsfotografie ist das möglichst exakte Festhalten eindeutig lokalisierter Situationen und Objekte, damit zu einem späteren Zeitpunkt ein Wiedererkennen und damit ein Wiedererinnern problemlos möglich ist. Kein Parisaufenthalt ohne Foto vom Sacré-Coeur, steil aufragend in den möglichst blauen Himmel oder der Fotoschuss vom Trocadéro die Seine hinüber zum möglichst bunt beleuchteten Eifelturm. – Damit wir uns da nicht falsch verstehen, diese Art der Urlaubsfotografie ist vollkommen legitim und die meisten von uns werden ähnliche Aufnahmen im Fotoalbum oder digitalisiert auf der Festplatte des PCs besitzen.
Lutz Hartmanns fotografische Erinnerungen bewegen sich allerdings in anderen Bahnen. Konkrete örtliche oder zeitliche Bezüge lassen sich aus den Fotografien nicht herauslesen, konsequenterweise auch nicht aus den Titeln der Arbeiten. »Blaue Tür«, »Reflex«, »Röhren«.
Auch formal-ästhetisch beschreitet Hartmann eigene Wege. Ein schönes Beispiel bietet die Arbeit »Durchblick« – auch hier ein treffend doppeldeutiges Wortspiel – denn betrachten wir das Foto, blicken wir erst mal überhaupt nicht durch. Was ist das eigentlich, was wir hier sehen? Erkennen wir überhaupt etwas? Mehrere verschwommene Linien und Balken in verschiedenen Farbabstufungen und unterschiedlicher Ausdehnung schieben sich horizontal durchs Bild und erst auf den zweiten oder dritten Blick erahnen wir allmählich, dass es sich hierbei offenbar um einen Blick durch eine strukturierte, halbtransparente Folie auf eine horizontal gegliederte Landschaft handelt. Fotografische Erinnerung, ganz gewiss, aber einmal ganz anders, eben „so gesehen“.
Einem paradoxen Phänomen widmet sich Lutz Hartmann in seinem Zyklus <erzählte Zeit>. Hartmann spricht zu Recht davon, dass das Wesen der Zeit ihre immer währende Bewegung ist. Es gibt im realen Leben keinen Stillstand der Zeit. Die Fotografie jedoch ist aufgrund ihrer technischen Möglichkeiten in der Lage, diese unerbittlich immer weiter fortlaufende Zeit zu einem winzigen Moment einzufrieren und diesen Moment – zumindest solange das Foto in irgendeiner materialisierten Form existiert – zu konservieren und fest zuhalten, theoretisch bis in alle Ewigkeit …
Die von Lutz Hartmann im Foto fest gehaltenen Strukturen im Sand (»Spuren I, II, II und IV«), werden in der Realität durch Wind und Wasser in kürzester Zeit verändert und zerstört. Die Schönheit ihrer Existenz wird in der Fotografie bewahrt und ist dennoch untrennbar verbunden mit dem Wissen um ihre Vergänglichkeit …
Auch da, wo die fotografische Darstellung nicht verschwommen oder unscharf erscheint, wird die abgebildete Realität durch radikale An- und Ausschnitte, wie sie besonders im großformatigen Zyklus zu finden sind, so verfremdet, dass ein exaktes Wiedererkennen dieser Realität häufig nicht mehr möglich ist.
Stattdessen entstehen autonome, sorgfältig durchkomponierte, fast abstrakt zu nennende Bilder von oft fremdartig rätselhafter Schönheit, deren Strukturen, Farben und Formen zum – wie Hartmann es ausdrückt – „Spiegel der Gefühle“ werden.
Bei der Auseinandersetzung mit Lutz Hartmanns Fotografien kam mir spontan ein Satz des Philosophen Martin Heidegger in den Sinn: „Die Kunst ist das Entbergen der Schönheit aus dem Verborgenen.“ Ich glaube dieses Zitat trifft in hohem Maße auf die fotografischen Arbeiten von Lutz Hartmann zu.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen noch viel Freude beim Suchen, beim Finden und natürlich beim Genießen der verborgenen Schönheit in den Fotografien von Lutz Hartmann.
Vielen Dank fürs Zuhören.
John Waszek, BBK Niederrhein
in: »Bilder aus 3 Zyklen«, Ausstellungskatalog, Krefeld 2011, S. 9-11
ZUR LANDSCHAFTSFOTOGRAFIE VON LUTZ HARTMANN
Mit dem Projekt Flurstücke führt Lutz Hartmann ein Thema fort, das er 2008 bereits angefangen hatte. Doch worum geht es ihm bei der Abbildung seiner Landschaften, seiner „Umwelt“?
Es sind vornehmlich Ausschnitte, „Stücke“ seiner Umgebung. Sie sind oft nah herangeholt, stehen als pars pro toto für alles, was nicht im Bild ist. Die Fotos bilden aber auch ein neues Mikro-Universum, sind, wenn auch teilweise verfremdet, eine selbstständige Bilderwelt: in Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Landschaft ist in unseren Breiten immer Kulturlandschaft, sie erfährt ihre morphologische Prägung durch die Nutzung als Ackerfläche oder für die Viehzucht. Zaungrenzen definieren sichtbar die Aneignung und Inbesitznahme. Naturlandschaft und Naturschutzgebiete sind durch Wegenetze touristisch erschlossen. Forstaufsicht, Renaturierung und Landschaftsgärtnerei zeigen erkennbar die menschlichen Eingriffe.
Lutz Hartmann, der „Lichtbildner“, nutzt das Licht als einen eigenständigen Faktor. Es modelliert durchgehend die Form. Abstraktion und Spiel mit der räumlichen Tiefe sind wesentlich wie der Standpunkt bei der Aufnahme und der sich verändernde Blickwinkel auf das Motiv. Der Ansatz des konzeptionellen Vorgehens wird zum Grundsatz: Nachdenken und dann tun.
Die neueren Aufnahmen vertiefen diese Aspekte. Eine Akzentuierung erfahren Bäume, Wäldchen, Parks und Landschaften im Stil der Landschaftsmalerei. Das reicht bis hin zu Stillleben ähnlichen, teils auch verfremdeten, wie verzaubert erscheinenden Szenerien. Lutz Hartmann ist jetzt als Fotograf mehr im Motiv, steht jetzt im Wald, wenn er vorher auf dem Feld stand und Distanz hielt. Die Sogkraft der Weite des Horizonts kontrastiert mit dem Gefangensein, mit dem Gefühl, „vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen“.
Was sprachlich nicht formuliert werden kann – so könnte man postulieren – gibt es nicht. Aber es existiert, man kann es sehen, nur nicht mit Worten vermitteln. Bringt der Auslöser das vor der Kamera gesehene Geschehen zum Stillstand, lebt es still. Es ist ein Stillleben, das ewig schöne Bild, den Tod vorwegnehmend: Von der Flur zum Tod.
Ähnlich dialektisch sind die weitergehenden Reflektionen zur Darstellung der Zeit, wie sie Lutz Hartmann in diesem Buch präsentiert. Er stellt zwei Aufnahmen „nebeneinander“, schafft somit räumliche Vorstellungen bis hin zu panoramaähnlichen Effekten. Von links nach rechts wahrgenommen, der üblichen Leserichtung folgend, erscheint das linke Foto als das zuerst entstandene. Ist jedoch das linke Foto später als das rechte entstanden, ergibt sich – trotz räumlicher Kompatibilität – für den Betrachter ein Voranschreiten in die Vergangenheit.
Dieses subtile, erst durch die Anordnung entstandene Verwirrspiel zeigt: Es geht nicht mehr darum, was war oder was ist, nicht um wahr oder unwahr. Es werden neue Dimensionen der Betrachtung erschlossen, wie sie aus einer zufälligen Zusammenstellung nicht möglich wären. Es wird ein Verständnis provoziert, das nicht aus der Wirkung eines Einzelbildes resultiert, sondern aus der gezielten Aufbereitung dieses Buches entsteht.
Lutz Hartmann hat damit einen neuen Weg eingeschlagen. Er zeigt nicht nur seine fotografischen Ergebnisse, sondern schafft mit ihnen in diesem Buch ein darüber hinaus reichendes ästhetisches Produkt.
Dieter Peschken
in: Flurstücke, Edition Estragon, Krefeld 2016, S. 9-10